24. November 2021

„Von Likes zu Fakes: Zur psychologischen Wirkung von Desinformation und Microtargeting“

Vortrag von Prof. Dr. Stephan Winter vom 24. November 2021 im Rahmen des Studium Generale. Stephan Winter ist Professor für Medienpsychologie an der Universität Koblenz-Landau.

Soziale Medien. Inzwischen dürften die meisten von uns zumindest auf einer Plattform zu finden sein. Dabei begann alles vor vielen Jahren mit Seiten wie z.B. schülerVZ oder studiVZ. Diese Plattformen dienten vor allem für soziale Kontakte, zum Austausch mit Gleichgesinnten und für die gezielte Selbstdarstellung. Prof. Winter führt hier in seinem Vortrag das sogenannte ‚Impression Management‘ an. Dabei handelt es sich um den Versuch, einen möglichst guten Eindruck der eigenen Person zu vermitteln – sei es bei einem Date, Bewerbungsgespräch oder im normalen sozialen Miteinander. Insbesondere das Impression Management kann als starkes Motiv für die Sozial Media Nutzung genannt werden. Dabei zeigt sich, wer bereits in der ‚Offlinewelt‘ eher extrovertiert ist und sich gerne selbstdarstellt, der tut dies auch verstärkt in den Sozialen Medien.

Seit studiVZ ist viel Zeit vergangen. Die Sozialen Medien feiern mit inzwischen mehr als 3 Milliarden Nutzer:innen einen weltweiten Siegeszug. Da diese Plattformen häufig über das Smartphone und mobiles Internet genutzt werden, können wir inzwischen permanent miteinander verbunden sein, uns austauschen und durch den Newsfeed schauen. Bei letzterem handelt es sich um die größte Neuerung. Vor allem bei der jüngeren Bevölkerung werden inzwischen Soziale Medien verstärkt als Nachrichtenquelle genutzt – sei es bei wissenschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Themen.

Durch diese neue Entwicklung kommen laut dem Referenten auch Befürchtungen bezüglich möglicher Auswirkungen auf, wie z.B. die Sorge um Echokammern und Filterblasen sowie Falschinformationen und aggressiven Kommentaren. Prof. Winter führte eine Studie aus dem Jahr 2019 an, die zeigte, dass 72% der befragten Internetnutzer:innen persönlich schon einmal (vermutliche) Fake News im Internet aufgefallen sind. Winter sieht den Begriff „Fake News“ als problematisch, da dieser auch dazu genutzt wird, um missliebige aber journalistisch saubere Medien zu kritisieren. Was versteht man also unter Fake News? Laut Winter enthalten diese Äußerungen oder Berichte tatsächlich eine falsche Information, die darüber hinaus intentional so platziert ist. Zum anderen wird die Ähnlichkeit zu einer traditionellen Nachricht geschaffen, um so andere gezielt in die Irre zu führen. Aufgrund des Aufkommens von Fake News werden Befürchtungen laut, wie z.B. der Verlust des Vertrauens in die Demokratie, Ablenkung von wirklich wichtigen politischen Themen oder realen Informationen sowie die Angst davor, dass Falschinformationen die Menschen manipulieren könnten. Winter relativiert diese Befürchtungen jedoch in seinem Vortrag. Bei Fake News handelt es sich laut ihm um keine Wunderwaffe, mit der die öffentliche Meinung manipuliert werden kann. Die Wirkung beschränkt sich stattdessen auf einen eher kleinen Teil der Bevölkerung. Diese Gruppen haben bereits bestimmte Voreinstellungen, die durch Fake News dann weiter verstärkt werden. Der Großteil der Gesellschaft kommt stattdessen noch mit genügend widersprüchlichen Meinungen in den Sozialen Medien in Berührung und verfügen über eine entsprechende Medienkompetenz.

Im zweiten Teil seines Vortrags behandelte Prof. Winter das Thema Microtargeting. Laut Winter befindet sich hinter dem Begriff die Grundidee, dass Botschaften bzw. Werbung, die auf Eigenschaften oder Interessen der Empfänger:innen zugeschnitten sind, persuasiver wirken. So gibt es Anzeigen, die beispielsweise vor allem auf Extrovertierte zugeschnitten sind. D.h. es gibt unterschiedliche Werbeanzeigen für unterschiedliche Personengruppen aber jeweils zum selben Produkt. Winter führt an, dass es jedoch kaum experimentelle Experimente gibt, die die Wirkung dieser unterschiedlichen Anzeigen tatsächlich belegen können. Untersuchungen zeigen viel mehr, dass keine signifikanten Effekte auf die Produkteinstellung und Kaufintention zu finden sind. Dadurch kommt jedoch die Frage auf, wie viele Informationen Algorithmen aus unserer Online-Selbstdarstellung ablesen können? Durch gewisse EU-Regulierungen wird laut Winter das Microtargeting bei uns stärker begrenzt als beispielsweise in den USA. Alter, Geschlecht und wo wir herkommen sind dabei die demokratischen Daten, die hauptsächlich erfasst werden. In den USA werden häufig zusätzliche Datensätze zu Persönlichkeitseigenschaften gesammelt, die auf den Like-Angaben der Nutzer:innen beruhen.

Abschließend fasst Winter zusammen, dass neben den Problemen der verzerrten oder falschen Informationen Soziale Medien jedoch auch die Partizipation erhöhen können. Inzwischen ist es viel einfacher sich politisch zu Wort zu melden. Protestbewegungen, wie beispielsweise Fridays for Future, sind daher unter anderem stark in den Sozialen Medien unterwegs.

Heutzutage findet sich online eine schier unbegrenzte Informationsvielfalt. Laut Prof. Winter liegt dort mit der richtigen Medienkompetenz ein großes Potenzial für einen rationalen Diskurs. Er merkt jedoch auch an, dass in Zukunft noch weitere Forschungen zu den neuen Plattformen und dem Potenzial von Microtargeting notwendig sind.

Der nächste Vortrag des Studium Generale „Medienphilosophie: Bilder, Illusionen und digitale Fotografie“ von Prof. Lambert Wiesing findet am 02. Februar 2021 um 18:15Uhr statt.

Miriam Feger, Volontärin, Stabsstelle Marketing und Kommunikation, Hochschule Reutlingen

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